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»MEINE LITE­RATUR ERZÄHLT VON DER REA­LITÄT IN DEUTSCH­LAND HEUTE«

Für seinen Debütroman »Hawaii« gewann Cihan Acar den Literaturpreis der Doppelfeld Stiftung. Bild: Robin Schimko


Cihan Acar hat ein wichtiges Buch geschrieben. Eines, das eine Welt und Menschen beschreibt, die längst zum Alltag in Deutschland gehören, die bis jetzt aber beinahe unsichtbar geblieben sind - zumindest im deutschen Literaturbetrieb.


Menschen, die hier schon seit Generationen leben - Menschen mit Migrationsgeschichte, Schwarze Menschen, Sinti:ze und Rom:nja - kommen in den Geschichten, die in der deutschsprachigen Literatur erzählt werden, nur selten vor. Und wenn, dann häufig als Problem, als Angehörige exotischer Milieus oder als vermeintlich Fremde. Während in Deutschland viele Übersetzungen von Romanen aus aller Welt veröffentlicht werden, kommt die postmigrantische, vielfältige Gegenwart im eigenen Land noch wenig zur Sprache.


Eine Reihe von jungen Autor:innen setzt dem etwas entgegen. Sie machen »Migrantenliteratur«, sondern schildern deutschen Realitäten. Darunter sind Autor:innen wie Fatma Aydemir, Deniz Utlu und Cihan Acar, dessen Debut »Hawaii« dieses Jahres erschienen ist. In seinem Buch erzählt er in klarer und präziser Sprache nicht nur vom Leben seines Protagonisten Kemal, sondern von einer ganzen Welt: Kemal ist in einem typischen, post-migrantisch geprägten Viertel in Heilbronn aufgewachsen. Er geht als Profi-Fußballer in die Türkei, kommt aber nach einer Verletzung zurück und geht in Heilbronn auf Sinnsuche. Derweil nehmen um ihn herum die Spannungen zu, Rechtsradikale ziehen mit dem Slogan »Heilbronn wach auf!« durch die Straßen. Für seinen Debütroman gewann Cihan Acar den Literaturpreis der Doppelfeld Stiftung.


Mit uns hat er darüber gesprochen, ob es möglich ist, frei zu schreiben - trotz der Erwartungshaltung der Mehrheitsgesellschaft, der Literaturwelt, seiner Community und dem eigenen Anspruch, keine Vorurteile zu bedienen.



Die Welt der Literatur ist immer noch sehr elitär. Nicht-weiße oder post-migrantische Autor:innen sind eine überschaubare Minderheit. Was hat dir den Mut gegeben, trotzdem mit dem Schreiben anzufangen?


Bücher an sich sind ja so offen, wie es nur möglich ist. Jeder Mensch kann ein Buch in die Hand nehmen, darin herumblättern und durch das Lesen eine Verbindung dazu spüren. Schreiben und Geschichten haben mich schon immer fasziniert. Ich wollte es unbedingt selbst versuchen und es schaffen, einen Zugang zu dieser Welt zu finden und gleichzeitig auch meinen persönlichen Hintergrund und die Themen, die mich interessieren, in diese Welt mit einbringen. Das war ganz selbstverständlich für mich, denn ich kann nicht über Themen schreiben, die mir selbst fremd sind. Ich glaube, das merkt man schnell beim Lesen, wenn der Autor selbst keinen Zugang zu den Themen hat, über die er schreibt.



Ist dein Roman auch der Versuch, Repräsentanz für Menschen zu schaffen, über deren Leben bisher so gut wie nichts geschrieben worden ist - Menschen aus Vierteln wie dem Hasenbergl in München, Neukölln in Berlin oder eben Hawaii in Heilbronn?


Nicht in erster Linie, aber im Nachhinein denke ich, dass es Teil meiner Motivation war. Es gab wenig, woran ich mich orientieren konnte. Ich habe viel danach gesucht, nach deutschsprachigen Büchern mit Hauptfiguren, mit denen ich mich identifizieren konnte oder die denselben Hintergrund hatten wie ich. Doch so langsam kommen wir in der Literatur mehr vor. Ich glaube, es wächst eine neue Generation von Schriftsteller:innen mit Migrationsgeschichte heran, die diese Welt schildern können. Es ist wichtig, dass das mit der Zeit selbstverständlicher wird. Je vielfältiger die Kultur und Literatur eines Landes, umso besser. Das kann nur eine positive Wirkung haben.



Das Buch erzählt intim und einfühlsam vom Leben in einem migrantisch geprägten, ärmeren Viertel. Gleichzeitig gehören viele von denen, die es lesen, und vor allem von denen, die dein Buch rezensieren, ganz anderen gesellschaftlichen Gruppen an. Ist das ein Problem?


Erst einmal freut man sich natürlich, dass auf das Buch reagiert wird. Das ist gar nicht selbstverständlich. Ich war vorher ja gar nicht literarisch in Erscheinung getreten. Deswegen bin ich sehr froh, dass mein Buch überhaupt besprochen wurde. Auf der anderen Seite liest man schon manchmal Sachen, bei denen man sich denkt: Okay, so habe ich mir das beim Schreiben aber nicht gedacht. Zum Beispiel gab es die Kritik, ich hätte Klischees benutzt. Und da geht es dann meistens um die türkischen Kumpels der Hauptfigur, die nach Reichtum streben und über dicke Autos reden. Aber für mich sind das keine Klischees, sondern Realität. Minderheiten, die von der Gesellschaft ausgeschlossen werden, sehnen sich nach dem, was ihnen fern erscheint, zum Beispiel nach materiellem Erfolg. Es ist ein Zwiespalt: Inwiefern bedient man Erwartungen von außen und inwiefern bildet man einfach die Realität ab, die man kennt? Das war schon etwas, worüber ich mir Gedanken gemacht habe.



Würdest du die Geschichte nach diesen Erfahrungen nun anders schreiben?


Beim Schreiben muss ich so schreiben, wie ich es in dem Moment für richtig halte. Zeigen, was ich zeigen möchte. Wie das dann aufgefasst wird, habe ich nicht mehr in der Hand. Das ist schwer abzuschätzen im Moment des Schreibens, vor allem als Debütant, als Anfänger. Auf der einen Seite will man die eigene Realität widerspiegeln, auf der anderen Seite möchte man die eigene Community nicht so darstellen wie manche Menschen sie vielleicht sehen wollen.



Inwiefern war deine hybride türkisch-deutsche Identität wichtig für dein Schreiben? Inwiefern möchtest du nicht darauf reduziert werden?


Mein Wunsch ist es, in erster Linie als Schriftsteller gesehen zu werden. Ich habe schon gelesen, meine Literatur sei »Migrantenliteratur«. Das ist sie nicht. Sie ist von Migration geprägt, weil meine Geschichte und meine Herkunft das mit sich bringen, aber sie erzählt von der Realität in Deutschland heute. Ich könnte auch über davon unabhängige Themen schreiben. Aber es ist nicht immer so einfach. Die Frage ist doch: Will ich mich von meiner Herkunft überhaupt freimachen? Ich schäme mich ja nicht dafür, dass ich Wurzeln in der Türkei habe. Es hat mich geprägt. Und ich sehe nicht, warum das etwas Negatives sein sollte.



Gab es auch Reaktionen aus der Community, die du in deinem Buch beschreibst? Also von Menschen mit Migrationsgeschichte, vielleicht sogar aus Heilbronn?


Anfangs fanden es einige Leute komisch, als ich ihnen erzählt habe, ich will einen Roman schreiben. Ich komme wirklich aus einem Umfeld, in dem Literatur eigentlich gar nicht stattfindet, wo das für viele Freunde und Bekannte ganz fremd ist. Ich wurde dann gefragt: Was soll das eigentlich? Wie viel verdienst du damit? Lohnt sich das überhaupt? Aber nachdem es erschienen ist, haben es viele meiner Freunde gelesen und mir gesagt: Hey, ich habe seit meiner Kindheit kein Buch mehr in die Hand genommen, aber das habe ich gelesen, weil ich mich in vielem wiedergefunden habe. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich versucht habe, die Sprache realistisch zu gestalten. Dass die Protagonisten in meinem Buch so sprechen, wie die Menschen, die ich kenne. Es war mir wichtig, dass ich die Menschen, die ich sehr gut kenne, gerade die älteren Verwandten oder Bekannten aus der Elterngeneration, der ersten oder zweiten Generation von Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, dass ich die so eindringlich und auch realistisch wie möglich darstelle. Weil sie ganz gewöhnliche Menschen sind, die genau die gleichen Sehnsüchte und Ängste haben wie Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft. Es war mir wichtig, dass sie in meinem Roman stattfinden.



In vielen Büchern, Filmen und Medienberichten, die Migration thematisieren, gibt es das Klischee: Ein junger migrantischer Mensch unternimmt eine Heldenreise, an deren Ende er sich von seiner unterdrückerischen Kultur oder Religion emanzipiert. Bei dir passiert das nicht. Kemals türkisch-deutsch-muslimisch-geprägtes Umfeld ist einfach Normalität und wird weder idealisiert noch problematisiert.


Das ist für mich einfach selbstverständlich. Mein Umfeld war immer türkisch und deutsch geprägt und das wollte ich abbilden: freitags in die Moschee zu gehen, die Cafés, die türkischen Hochzeiten. Es sind Dinge, die ich von klein auf kenne. Es ist meine Realität.



Gegen Ende deines Buchs beschreibst du eine Art Endkampf, in dem bestimmte gesellschaftliche Konflikte endgültig entschieden werden sollen. Glaubst du, bei vielen Menschen gibt es diese Sehnsucht nach einem endgültigen Ausgang?


Ich habe mir das eher als ein Negativszenario vorgestellt, welches ich mir vor dem Hintergrund dessen, was gerade politisch und gesellschaftlich passiert, ausmalen konnte. Ich wollte das auf die Spitze treiben und zeigen, was passiert, wenn die Ressentiments und die Aggression ausbrechen, die eigentlich seit Jahren immer knapp unter der Oberfläche bleiben. Ab und zu zeigt es sich: durch Attentate, durch Äußerungen von politischen Parteien. So könnte es aussehen, wenn das alles mal eskaliert, wie es sich die Radikalsten auf allen Seiten wünschen. Vielleicht finden es manche auch übertrieben diese Ausschreitungen, wie ich sie am Ende meines Buches beschreibe. Aber ich denke, gerade wenn man sich so die letzten Jahre anschaut, dann muss man schon befürchten, dass es vielleicht gar nicht so realitätsfern ist.



Kemal, die Hauptfigur in deinem Buch, wünscht sich, frei von allen Fremdzuschreibungen zu sein und macht sich auf die Suche nach eigenen Antworten. Beschreibst du damit auch eine eigene Sehnsucht?


Das Ende des Buches soll auch die wichtige Frage stellen, was die Werte sind, nach denen man streben sollte? Eine Frage, die sich jeder Mensch früher oder später stellen muss: Welche Ziele möchte man in seinem Leben verfolgen? Ist das, möglichst viel Geld zu machen? Sich irgendwie selbst zu finden? Eine Familie zu gründen? Sich der Religion zu widmen? In der Geschichte beschreibe ich die Phase im Leben meines Protagonisten, in der diese Frage am dringendsten ist. Er merkt, dass seine Werte nicht mit den allgemein anerkannten übereinstimmen. Und er hat noch keine Antworten darauf.


Dazu kommt, dass er sich zwei Welten zugehörig fühlt, dass er eine doppelte Identität hat. Das hat auch sehr viele Vorteile. Man lernt eben zwei Welten kennen, und man steht so zwischendrin und hat auf beide Seiten den genaueren Blick. Doch gleichzeitig hat jeder Mensch die Sehnsucht irgendwo dazuzugehören. Und dann ist da die Frage, ob man sich für eine Seite entscheidet - oder ob man sagt, ich bleibe dazwischen. Da gibt es keine einfache, klare Antwort drauf. Das bleibt für viele von uns eine ewige Frage.




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