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  • DINA EL OMARI

ISLAM UND FE­MINISMUS PASSEN NICHT ZUSAMMEN?

TEIL 2 DER SERIE: »ISLAMKLISCHEE DES MONATS«

FEMINISTIN UND ISLAMISCHE THEOLOGIN: DINAL EL OMARI WEHRT SICH GEGEN DAS VORURTEIL, DER ISLAM SEI FRAUENFEINDLICH. (FOTO: PRIVAT)


Dieses Klischee ist falsch, findet unsere Autorin. Doch auch einige muslimische Feministinnen machen es sich zu leicht.


Vollverschleierung, unterdrückte Frauen und gewalttätige muslimische Männer: Das sind die Bilder, die die lslamberichterstattung vieler deutscher Medien seit Jahren dominieren. Dass Islam und Feminismus nicht zusammenpassen, scheint für einige Journalist:innen und Publizist:innen längst ausgemachte Sache.


Beispiel ZDF: Vor etwas über einem Jahr, als Corona noch nicht alle Schlagzeilen dominierte, ließ der Sender in seinem Diskussion-Format »Lass uns reden!« zwei bekannte Feministinnen gegeneinander antreten: die Islamkritikerin und Soziologin Necla Kelek und die türkeistämmige Rapperin und Autorin Reyhan Şahin, auch bekannt als »Lady Bitch Ray«. Die Frage der Sendung: »Islam und Feminismus – geht das zusammen?«


Kelek vertrat dabei die Auffassung, dass es einen islamischen Feminismus im Grunde nicht geben kann: »Welche Rolle hat die Frau im Islam?«, fragte sie selbst gleich zu Beginn der Sendung, um die Frage später so zu beantworten: »Der Islam kann nur mit dieser Rolle von Frau: Sie gehört in die Familie und sie gehört einem Mann, der sie genommen hat. Das ist die ideale Form, die in islamischen Ländern gelebt wird und ein Teil davon ist, dass sie, wenn sie das Haus verlässt, das Kopftuch tragen soll.«


Şahin ihrerseits warf Kelek vor, nicht ausreichend zu differenzieren und mit ihren Thesen rechten Scharfmachern in die Hände zu spielen: Von welchem Islam Kelek rede, wollte sie wissen, und von welchen islamischen Ländern? Doch nicht immer argumentiert die Gegenseite so differenziert: Es gibt auch jene muslimischen Feminist:innen, die dem Islam allgemein seine Vereinbarkeit mit dem Feminismus bescheinigen und dabei Gefahr laufen, sich in eine apologetische Haltung zu begeben.


DIE VEREIN­BARKEIT VON FEMI­NISMUS UND ISLAM IST MÖG­LICH


Ich würde behaupten: Die Vereinbarkeit von Feminismus und Islam ist möglich - aber nicht per se zu bejahen. Das liegt vor allem daran, dass es eigentlich weder den Islam noch den Feminismus gibt, sondern eine Vielzahl von Lesarten bzw. Verständnissen der beiden Begriffe. Es gilt hier also zu differenzieren, denn letztendlich hängt die positive Beantwortung der Frage von der Lesart der islamischen Quellen sowie der Definition des Feminismus-Begriffs ab. Dabei kann eine glaubhafte Vereinbarkeit nur jenseits von Apologetik und hegemonialen Argumenten erzielt werden.


Grundsätzlich ist also zunächst die Frage zu stellen: Was verstehen wir unter Feminismus? Feminismus ist aus dem Bedürfnis von Frauen entstanden, sich aus fremd- und eigenverschuldeter Unmündigkeit zu befreien. Das heißt: Jede Form der Bevormundung und männlichen Vormachtstellung ist abzulehnen und zu bekämpfen. Das Ziel ist es, die Subjektwerdung der Frau auf sozialer, gesellschaftlicher und privater Ebene voranzutreiben und somit Frauen die gleichen Rechte wie Männern zu sichern.


Diese Definition lässt sich nun durchaus auch auf den islamischen Feminismus übertragen und somit ist sein Ziel formuliert. Doch lässt sich das wirklich so leicht umsetzen?


Die Antwort ist: Jein! Dass eine Umsetzung gar nicht so einfach ist, das zeigt sich besonders deutlich am Beispiel der feministischen Koranexegese. Diese hat zwar grundsätzlich die lobenswerte Absicht, das Patriarchat in seine Schranken zu verweisen und eine geschlechtergerechte Lesart zu etablieren. Dies tut sie vorrangig dadurch, dass sie mit einer rein wortwörtlichen Lesart des Korans bricht und diesen im Lichte der Gerechtigkeit und Gleichheit sowie des historischen Kontextes liest.


VIELE DER ERS­TEN FEMINIS­TISCHEN KORAN­EXEGE­TINNEN ARGUMEN­TIERTEN APOLO­GETISCH


Allerdings bleibt dies nicht frei von Kritik und zwar gerade aus den eigenen Reihen. Angestoßen wurde diese von der amerikanischen Assistenzprofessorin Aysha Hidayatullah, die im Jahr 2014 ihr Buch »Feminist edges« veröffentlichte, in dem sie die Ergebnisse der bekanntesten feministischen Koranexegetinnen, wie Amina Wadud, Asma Barlas und Riffat Haasan, erstmals aus einer feministischen Perspektive einer grundlegenden Kritik unterzog. Dabei würdigt sie zwar das Bestreben einer geschlechtergerechten Lesart, wirft den Koranexegetinnen aber eine oftmals apologetische und hegemoniale Haltung vor.

Hidayatullas Problem ist im Wesentlichen die Vorstellung dieser Exegetinnen, der Koran sei als das direkte Gotteswort per se geschlechtergerecht und es wäre lediglich der bisherigen Koranexegese, die seit über 1400 Jahren in den Händen von Männern läge, geschuldet, dass sich eine männerbevorzugende und frauenbenachteiligende (patriarchale) Lesart des Textes etabliert habe.


Dabei würden gerade die drei genannten Wissenschaftlerinnen nicht nur apologetisch argumentieren, sondern durchaus hegemoniale Ansprüche erheben, da sie ihre Lesart des Korans als geschlechtergerechten Text als die einzig wahre Lesart sehen würden, welche zudem durch die Definition des Korans als das direkte Wort Gottes durch höchste Autorität abgesichert sei.


Ein vertiefter Blick in den Koran offenbare allerdings, so Hidayatullah, dass wir keinesfalls von einem völlig geschlechtergerechten Text sprechen können, sondern der Text sowohl Verse enthält, die auch aus heutiger Perspektive als geschlechtergerecht erachtet werden können und wiederum andere, die dieser Gerechtigkeit nicht entsprechen.


DER KORAN WURDE IN EINER PATRIAR­CHALEN GESELL­SCHAFT OFFEN­BART. WARUM SOLL­TE ER HEU­TIGEN VORSTEL­LUNGEN VON GE­SCHLECHTER­GERECH­TIGKEIT ENT­SPRECHEN?


Selbst Amina Wadud, die als Aktivistin, Autorin und Akademikerin lange Zeit die vorherrschende Stimme in der feministischen Koranexegese war, muss dies in ihren späteren Schriften eingestehen, wenn sie um die Bedeutung des »Schlagens der Ehefrau« in Vers 4:34 ringt. Dieser Vers wird immer wieder von Kritikern angeführt, da er nach einer wortwörtlichen Lesart häufig als Erlaubnis zur körperlichen Züchtigung der Ehefrau bei Ungehorsam verstanden wird.


An dieser Stelle fragt Hidayatullah daher zu Recht: Muss der Koran als ein in einer patriarchalen Gesellschaft offenbarter Text überhaupt das Anliegen gehabt haben, mit unseren heutigen Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit zu korrespondieren? Und wenn das nicht der Fall ist, wie lässt sich dies dann damit vereinbaren, dass der Koran als das direkte Gotteswort gilt? Ist Gott etwa doch ungerecht zu den Frauen?


Wenn es nach Hidayatullah geht, ist diese Frage mit »Nein« zu beantworten, allerdings gibt sie zu bedenken, dass der Koran eben nicht mit Gott gleichzusetzen sei, sondern ein von ihm in menschlicher Sprache erschaffener Text sei. Das bedeutet ganz im Sinne des Koranwissenschaftlers Abu Zaids, dass der Koran die kulturelle, historische und linguistische Sprache sowie die Erlebnisse und Erfahrungen des Propheten und seiner Zeitgenossen widerspiegelt und sich entsprechend unterschiedliche Tendenzen finden lassen. Die Exegese muss dafür offen sein und sich auch mit den Aussagen des Textes konfrontieren, die nicht den heutigen Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit entsprechen.


ZUR ZEIT DES PRO­PHETEN MAG ES EIN FORT­SCHRITT GEWE­SEN SEIN, DASS FRAUEN DIE HÄLFTE ERBTEN – HEUTE MÜSSEN WIR DAS WEITER­DENKEN


Dabei ist es die Aufgabe der Interpreten, die Texte in ihrem historischen Kontext zu verstehen und ernst zu nehmen, weiterhin gilt es aber die hinter dem Text liegende Botschaft fortzudenken. So mag es zur Entstehungszeit des Korans ein Fortschritt gewesen sein, dass die Frauen die Hälfte von dem geerbt haben, was Männer bekamen, aber dabei darf es nicht bleiben, sondern die Exegese muss diesen Fortschritt heute weiterdenken und sich für eine absolut gleichberechtigte Verteilung einsetzen.


Dabei können auch Potenziale der Befreiung aus dem Text selbst helfen. Die Theologin Nayla Tabbara spricht in diesem Zusammenhang in einem kürzlich erschienen Beitrag des DLF »Das untergeordnete Geschlecht« aus einer befreiungstheologischen Perspektive von einer im aber auch hinter dem Text verborgenen Kraft.


Dabei nimmt sie genau die differenzierte Haltung ein, die es in der Exegese braucht, indem sie nicht dem Koran pauschal eine Geschlechtergerechtigkeit zuspricht, sondern ihm die entsprechenden Potenziale bescheinigt: »Der Kampf um Emanzipation findet heute nicht zwischen Männern und Frauen statt, sondern zwischen modernen Menschen und erzkonservativen. In allen Religionen gibt es Leute, die meinen, Frauen hätten keine Rechte. Wer liberal denkt, erkennt dagegen in Texten wie dem Koran eine für Frauen befreiende Kraft. Wir können einander in den verschiedenen Kulturen ermutigen.« Welche befreienden Potenziale offengelegt werden können, wenn der Text fortgedacht wird, zeigte sich zuletzt auch in der muslimischen Lebenswirklichkeit: Seit 2017 erben in Tunesien die Frauen ebenso viel wie die Männer.


ES BRAUCHT EINEN KRITI­SCHEREN UM­GANG MIT DEN PROPHE­TISCHEN ÜBER­LIEFE­RUNGEN


Doch nicht nur die Auslegung des Korans kann Feministinnen Schwierigkeiten bereiten, auch der Umgang mit der zweitwichtigsten islamischen Quelle, den prophetischen Überlieferungen (Hadith), ist innerhalb der feministischen Exegese höchst problematisch. So werden die Überlieferungen akzeptiert, die frauenfreundlich sind, während die frauenfeindlichen abgelehnt werden und zwar mit dem Argument, dass der Prophet diese sicher nicht gesagt haben könne, da er ein Reformer gewesen sei.


Solch ein Argument ist höchst apologetisch, aber auch Argumente wie das folgende von Nayla Tabbara müssen mit Vorsicht genossen werden. In dem bereits erwähnten DLF-Beitrag behauptet sie pauschal:

»Die untergeordnete Position, die Frauen heute im Islam haben, ist nicht die Position, die ihnen der Prophet Mohammad zugedacht hat. Im Gegenteil. Er führte in der damaligen Gesellschaft eine Art Revolution durch, die auch die soziale Rolle der Frauen betraf. Frauen beteten daraufhin in der Moschee zusammen mit den Männern, und sie nahmen an öffentlichen Diskussionen teil. Der Prophet drängte Frauen, lesen und schreiben zu lernen. Wir wissen sogar, dass einige Manuskripte des Koran von Frauen geschrieben wurden. Aber nach dem Tod des Propheten kam vielerorts die alte arabische Stammesmentalität neu zum Durchbruch und Frauen mussten sich wieder unterordnen.«


Das Problem: Auch Tabbara blendet hier jenes prophetische Material aus, das deutliche misogyne Züge aufweist. Natürlich kann und muss auch in der Biographie des Propheten und der seiner Zeitgenoss:en nach emanzipatorischen Potenzialen gefragt werden, aber es darf auch nicht der kritische Blick auf dieses gesammelte Material fehlen, das eben auch andere Bilder zeichnet.


Abgesehen davon, dass wir ohnehin viel zu wenig darüber wissen, was der Prophet nun wirklich gesagt hat und was nicht, kann ein Aussparen von misogynen Überlieferungen nicht die Lösung des Problems sein. Es braucht vielmehr eine ernsthafte historische Auseinandersetzung mit den Texten sowie ein Bewusstsein dafür, dass der Prophet Aussagen situativ getroffen hat. Sie sind daher keinesfalls alle gleichzeitig zu verstehen, nach dem Motto: »Der Prophet hat gesagt.« Der Prophet mag x in der Situation y gesagt haben, aber genaues wissen wir dazu nicht. Daher wäre eine grundsätzlich kritische Forschung an dieser Stelle gefragt, die gleichermaßen kritisch an alle Äußerungen herantritt.


ES BRAUCHT EINE GANZ­HEIT­LICHE KRITIK ALLER PATRIAR­CHALEN STRUK­TUREN IM ISLAM


Ein weiterer Kritikpunkt an der feministischen Exegese ist laut der amerikanischen Islamwissenschaftlerin Kecia Ali, die mit ihrem Werk »Sexual ethics and Islam« ein ausgesprochen wichtiges Buch zur Rolle der Frau im islamischen Recht verfasst hat, dass der direkte Einfluss der islamischen Jurisprudenz auf die Lebenswirklichkeit der muslimischen Frauen, wie die Frage nach dem männlichen Zugangsrecht zum weiblichen Körper, kaum diskutiert werde. Dieser habe aber zum Teil verheerende Folgen für das Geschlechterverhältnis.


Es reiche also keineswegs aus, den Hauptfokus auf den Koran zu legen. Vielmehr brauche es eine ganzheitliche Kritik aller islamischer patriarchaler Strukturen und diese Kritik erfordert eine apologetische Haltung abzulegen und sich ganz klar gegen jede Form der Benachteiligung auszusprechen. Das erfordert zum Teil großen Mut, denn es bedeutet nicht nur die Neuinterpretation der islamischen Quellen, sondern kann laut Jerusha Tanner Rhodes auch zur völligen Verwerfung bestimmter Normen und Aussagen führen. Das kann auch solche Normen und Aussagen betreffen, deren patriarchale Strukturen man nicht im ersten Moment erkennen mag.


Fest steht, dass ein islamischer Feminismus nur dann erfolgreich sein kann, wenn er diese kritische Haltung als wichtigste Voraussetzung für den Umgang mit den islamischen Quellen einnimmt. Dabei muss er stets offen bleiben und dafür bereit sein, völlig neue Wege der Befreiung der Frau aus ihrer unverschuldeten und selbstverschuldeten Unmündigkeit zu gehen, um sie so zu einem mündigen und selbstbestimmten Subjekt zu machen.

Dina El Omari ist derzeit Vertretungsprofessorin für islamische Textwissenschaften (Koran und Hadith) am Berliner Institut für Islamische Theologie der HU Berlin. Außerdem ist sie seit Oktober 2019 Post-Doktorandin am Exzellenzcluster »Religion und Politik« der WWU Münster, an dem sie ein eigenständiges Forschungsprojekt mit dem Titel »Die Ambiguität der islamisch-emanzipatorischen Diskurse in Geschichte und Gegenwart« leitet. Sie hat im Januar 2021 ihr Habilitationsverfahren abgeschlossen und zwar mit der Habilitationsschrift »Das koranische Menschenpaar in Schöpfung und Eschatologie - Versuch einer historisch-literaturwissenschaftlichen Korankommentierung«.

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