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BERICHTERSTATTUNG, DIE VERLETZT

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FÜR VIELFALT IN DEN MEDIEN 

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»ES GIBT NOCH KEINE DIVER­SITÄTS-STRA­TEGIE«


Hadija Haruna-Oelker (links) und Lorenz Rollhäuser (rechts) bei ihrem Besuch in Hamburg mit den Journalist:innen Veronica Laleye, Nil Çakmak, Yared Dibaba, Michael Paweletz, (von links) (Foto: privat)


Jedes Jahr gibt das Deutschlandradio seinen Hörer:innen die Chance, für die sogennante »Denkfabrik« ein Thema zu wählen, das dann im Programm ebenso wie in speziellen Veranstaltungen besondere Aufmerksamkeit erfährt. Für 2020 wählten die Hörer:innen den Themenschwerpunkt »Eine Welt 2.0 – Dekolonisiert euch!« . Zeit war es, denn etwa jede:r vierte Deutsche hat eine Migrationsgeschichte. Diese gesellschaftliche Vielfalt spiegelt sich jedoch längst nicht in allen Medien wider – auch in vielen öffentlich-rechtlichen Sendern nicht.


Die Journalist:innen Hadija Haruna-Oelker und Lorenz Rollhäuser haben im Rahmen der Denkfabrik im November 2020 ein knapp einstündiges Feature produziert, in dem sie fragen: Was tut sich in Sachen Vielfalt in den Öffentlich-Rechtlichen? Was unternehmen die Redaktionen, um Diversität im Sinne der Migrationsgesellschaft besser abzubilden? Und was würde es eigentlich bedeuten, wenn nicht nur die anderen, sondern auch die Rundfunkanstalten selbst sich »dekolonisieren«? Sie fragten Journalist:innen, aber auch Intendanten öffentlich-rechtlicher Sender. BLIQ-Redakteurin Helena Werhahn hat mit ihnen gesprochen – darüber wie schwierig es war, die eigenen Auftraggeber zu kritisieren und warum es oft nicht reicht, eine:n Diversitätsbeauftragte:n zu ernennen.


Euer Feature heißt »Dekolonisiert Euch« – genau wie die diesjährige Denkfabrik des Deutschlandradios. Ist der Titel auch als Seitenhieb zu verstehen?


Lorenz Rollhäuser: Ich finde es super, dass dieses Thema für die Denkfabrik des Deutschlandradios gewählt wurde. Aber wenn sich eine in wesentlichen Teilen weiße Institution so ein Thema zu eigen macht, frage ich mich natürlich: Was bedeutet das für die Institution selbst? Ich arbeite gerne für das Deutschlandradio und fand, dass sie sich doch sehr weit aus dem Fenster lehnten mit der Aufforderung »Dekolonisiert Euch«. Also dachte ich, das ist eine gute Gelegenheit, den Blick umzukehren und auf die Institution zu richten.



Wie kam es dazu, dass Ihr dann gemeinsam an dem Feature gearbeitet habt?


Lorenz Rollhäuser: Es war klar, dass ich das als weißer Mann nicht alleine machen will. Jemand hat mir dann Hadija empfohlen. Wir haben miteinander gesprochen und schnell war klar, das könnten wir zusammen hinkriegen.


Hadija Haruna-Oelker: Inhaltlich war das Feature-Thema seit Jahren einer meiner Schwerpunkte. Ich bin Redakteurin und Reporterin mit den inhaltlichen Schwerpunkten Rassismusforschung und Migrationsgesellschaft. Mich hat die Kombination gereizt, mit Lorenz, einem diversitätsbewussten, rassismuskritischen Feature-Macher ein Projekt zu starten, bei dem vieles an Skills und Wissen zusammenkommt.



Euer Feature wirft einen kritischen Blick auf die Öffentlich-Rechtlichen und damit auch auf Euren Auftraggeber. War es schwierig, Zustimmung für das Projekt zu erhalten?


Lorenz Rollhäuser: Wir hatten Glück, dass es eine Redakteurin gab, die sofort offen für das Projekt war. Man kann nicht voraussetzen, dass alle bereit gewesen wären, sich in so eine irgendwie auch heikle Situation zu begeben, wenn auch die eigene Institution einer Überprüfung unterzogen wird.



Ihr sprecht in Eurem Feature mit vielen Journalist:innen, aber auch mit Menschen in höheren Positionen bei den Öffentlich-Rechtlichen, zum Beispiel dem Intendanten des Deutschlandradios Stefan Raue. Wie schwierig war es, Gesprächspartner:innen zu finden?


Hadija Haruna-Oelker: Das hatte viel mit Vertrauen zu tun und wir haben uns quasi aufgeteilt. Wir haben Treffen mit Einzelnen und mit Gruppen in verschiedenen Städten organisiert – mit Redakteur:innen und Macher:innen, um diese Treffen habe ich mich hauptsächlich gekümmert und viele Vorgespräche geführt. Lorenz hat die meisten der Führungskräfte angefragt.


Lorenz Rollhäuser: In der Zeit unserer Anfragen hat sich in der Weltgeschichte viel getan: Durch die Ermordnung von George Floyd bekam die Black-Lives-Matter-Bewegung in Deutschland Aufschwung. Das hat den Blick verändert: Wer wird jetzt befragt? Wer leitet die Redaktion, die dazu etwas macht und trifft die Entscheidungen? Das spitzte sich insbesondere nach der Debatte um mehrere Talkshows zu, bei denen keine Schwarze Person eingeladen wurde, obwohl es um Schwarze Erfahrungen gehen sollte. Auch wenn es zynisch klingt: Wir hatten Glück, dass wir in diesem historischen Moment recherchiert haben.



Wie hat die zunehmende mediale Aufmerksamkeit für Black-Lives-Matter-Proteste und die kritische Selbstreflexion auch in der deutschen Medienlandschaft Eure Arbeit beeinflusst?


Hadija Haruna-Oelker: Lorenz hat es schon angesprochen. Ich vermute, dass es auch dem erstarkten öffentlichen Interesse für dieses Thema geschuldet war, dass uns auch viele Verantwortliche in höheren Positionen zugesagt haben. Aber das ist natürlich nur Spekulation. Wir haben dabei immer betont, dass bei uns das Interesse für dieses Thema nicht erst durch die Black-Lives-Matter Proteste entstanden ist. Auch die Zusage für das Feature hatten wir davor bekommen.



Gab es bei eurer Recherche etwas, das euch besonders hängen geblieben ist?


Lorenz Rollhäuser: Ich fand beispielsweise den Aspekt spannend, wie sich die Diversitätsbeauftragten innerhalb dieser Institutionen begreifen, in ihrer doch oft sehr unklar beschriebenen und heiklen Position. Ich denke, es wird im Feature klar, dass man diese Aufgabe vielleicht anders organisieren muss, vor allem dass man sie nicht nur einer Person im Sender übertragen kann und dann glaubt, dem Thema damit genüge zu tun.



Was war eure Erwartung am Anfang der Recherche und wie hat sich eure Wahrnehmung durch die Besuche der verschiedenen Häuser verändert?


Lorenz Rollhäuser: Anfangs war meine These: Diese Institutionen sind weitestgehend weiße Institutionen, denen es schwer fällt, Veränderungen zuzulassen. Gleichzeitig fangen sie an etwas zu eröffnen, das wir »Spielwiesen« genannt haben. Das heißt sie öffnen sich für Leute, die vielleicht keine für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk typische Biografie haben. Die können dann quasi im Außenbereich der Institution Projekte machen, dringen aber nicht wirklich ein – schon gar nicht in die höheren Etagen, wo die Entscheidungen getroffen werden. Das war eine der Ausgangsthesen, die durchaus bestätigt wurde. Obwohl sich auch innerhalb der Institutionen Dinge anfangen zu ändern.


Hadija Haruna-Oelker: Was sich im Laufe der Gespräche herauskristallisiert hat, waren die Details, bei denen es strukturell hakt. Wir konnten quasi viele Behauptungen, die schon vorher kursierten und über die unter Journalist*innen mit Migrationsgeschichte oder of colour gesprochen wurde, an verschiedenen Orten verifizieren. Und wir haben anhand von Fallbeispielen einen Blick auf die Strukturen in den jeweiligen Häusern werfen können. So kann ich heute mit fundiertem Recherchewissen sagen, was, warum nicht läuft. Und bei mir jetzt eine neue Sicherheit da, wenn ich über das Thema spreche, weil uns so viele Menschen ihr Vertrauen geschenkt haben.



Was habt ihr aus diesen Fallbeispielen gelernt?


Hadija Haruna-Oelker: Das Besondere an diesem Feature ist, dass es einen Chor an Stimmen abbildet und ein Zeitzeugnis ist. Wir konnten quasi ein Meta-Bild entwickeln und deutlich machen, dass vieles, was in den Häusern passiert, subtil ist. Es sind nicht nur harte Fakten, über die man hier sprechen muss. Personalpolitik wäre ein hard fact, aber es geht auch um rassismuskritische Berichterstattung oder darum, was Schwarzsein vor der Kamera oder Rassismus im Berufsalltag einer Journalistin bedeutet. Konkret, zum Beispiel der bei vielen Medienschaffenden vorherrschende Gedanke, dass von Rassismus Betroffene nicht neutral darüber berichten könnten, oft angetrieben von dem journalistischen Leitsatz, sich nicht gemein zu machen mit einer Sache, auch wenn es eine Gute sei. Von diesem mussten und müssen sich viele Journalist*innen of colour emanzipieren – auch ich musste das.


Lorenz Rollhäuser: Und wir mussten im Nachhinein die Kritik annehmen, dass Ostdeutschland bei uns zu kurz kommt, sowohl textlich als auch in der Recherche. Da habe ich dann doch meinen westdeutschen Blick gehabt und Hadija vielleicht auch.



Einige Strategien zur Veränderung stellt ihr im Feature vor, beispielsweise Quoten oder diverser besetzte Auswahlkommissionen. Was braucht es aus eurer Sicht noch, damit die Öffentlich-Rechtlichen die Realität in der Migrationsgesellschaft spiegeln?


Hadija Haruna-Oelker: Es braucht aus meiner Sicht eine Art Sandwich-Strategie, das heißt nicht nur von oben, sondern auch von unten müssen die Veränderungsprozesse gelenkt werden. Wenig nachhaltig wäre einfach von oben zu sagen: Jetzt stellen wir nur noch Leute mit sichtbarer Migrationsgeschichte ein und keiner von unten hat verstanden wieso. Gleichzeitig müssen Gelder von oben für einen Kulturwandel freigesetzt werden und es braucht von unten eine Mitarbeiterschaft, die das Wissen über rassismuskritische Berichterstattung als Basis in der redaktionellen Arbeit mit aufnimmt und das nicht nur in der Ausbildung, sondern eben auch in der Weiterbildung. Auch in Redaktionen braucht es »Allyship«. Das heißt, dass sich quasi auch Nicht-Betroffene für mehr Diversität oder rassismuskritische Berichterstattung einsetzen wollen. Und ja dafür bedarf es vielleicht auch ein entsprechendes, journalistisches Anti-Bias Training. Schließlich verstehen sich Journalist:innen als Berichterstatter:innen und als solche sollten sie fit sein oder sich fit machen für die Migrationsgesellschaft. Eine heterogene Gesellschaft hat sich verändernde Ansprüche und rassismuskritische Berichterstattung ist ein Handwerk, das als solches anerkannt werden sollte.


Lorenz Rollhäuser: In den Redaktionen muss viel passieren, damit es nicht mehr möglich ist zu sagen: Das Thema interessiert mich nicht, damit muss ich mich nicht beschäftigen. Das andere ist die Einstellungspolitik: Es passiert etwas beim Nachwuchs. Es muss sich aber auch etwas tun bei den Stellen, die bereits vergeben sind. Es wird immer gesagt, da gebe es wenig Bewegung im Apparat. Das wird aber – wie Herr Raue uns selbst sagte – demnächst anders, weil die Jahrgänge der Babyboomer bald in Rente gehen. Da hätte man die Chance viel zu tun, damit vielfältiges Personal eingestellt wird. Die Frage ist: Versucht man das wirklich?



Es gibt in eurem Feature eine Collage aus O-Tönen, in denen verschiedene Vertreter:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sagen, es gebe noch »Luft nach oben«. Wie überzeugt seid ihr nach eurer Recherche, dass daran gearbeitet wird, dass die Luft nach oben weniger wird?


Lorenz Rollhäuser: Es ist schwer abzuschätzen, wie ernst der Wille tatsächlich ist. Absichtserklärungen kann man immer so und so lesen. Man kann sie als positives Zeichen verstehen. Ich frage mich aber, warum so lange gewartet wurde, bis in vielen Häusern die Charta der Vielfalt unterschrieben wurde. Mit dieser Selbstverpflichtung erklären Arbeitgeber, dass sie Chancengleichheit für ihre Beschäftigten herstellen werden. Die Charta gibt es seit 2006, das Deutschlandradio hat sie beispielsweise erst im August diesen Jahres unterschrieben.


Hadija Haruna-Oelker: Ich würde noch einen Schritt weitergehen: Wir haben in keinem Haus, das wir besucht haben, eine wirkliche Diversity-Strategie feststellen können. Herr Buhrow beispielsweise, Intendant des Westdeutschen Rundfunks, spricht im Feature von vielen guten Projekten als eine Art Maßnahmepaket. Das stimmt zwar, denn es gibt zum Teil gute Projekte, wie zum Beispiel das Talente Programm vom Bayerischen Rundfunk, das in unserem Feature angesprochen wird und durch ein offeneres Bewerbungsverfahren andere Menschen als üblich findet. Auf Veränderungen dieser Art hat auch der Hessische Rundfunk bei seiner diesjährigen Volontär:innen-Auswahl gesetzt. Es gibt viele Stellschrauben, an denen man drehen kann. Wichtig ist aber: Einzeln machen sie noch keine nachhaltige Diversitäts-Strategie. Es braucht eine entsprechende Organisationsentwicklung dafür. Und das ist für mich ganz klar ein Fazit: Die fehlt den Öffentlich-Rechtlichen noch.



Die Beiträge auf BLIQ geben nicht zwingend die Meinung der Neuen deutsche Medienmacher*innen oder der BLIQ-Redaktion wieder.



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